Eine kurze Biographie der LINE MUSIC
Es war 1979.
Große Teile der Schallplattengroßindustrie hatten gerade den Punk erledigt und
Folgeerscheinungen wie New Wave in Arbeit, da machte ein kleines, neues,
unabhängiges Label in Hamburg einen bedeutenden Schritt zurück in die Zukunft:
LINE RECORDS.
Als sich buchstäblich niemand (mehr) um die Musik der glorreichen 60s und
gerade abgelaufenen 70s scherte, setzte der ehemalige Kinney- und Teldec-Mann
Uwe Tessnow aufs Gestern und Vorgestern.
Mit verblüffenden Veröffentlichungen holte er Cracks wie Mitch Ryder und Roger
Chapman aus der Versenkung, gab ihnen mit aktuellen Produkten, die sich blendend
verkauften, eine neue Chance.
Die News verbreitete sich wie ein Lauffeuer, plötzlich standen jung gebliebene
Altstars bei LINE Schlange, die alle noch etwas zu sagen, zu spielen und zu
singen hatten.
Eine Künstlerriege formierte sich nahezu von selbst, der Begriff "Wiederveröffentlichungen"
hatte einen - bis heute gültigen - neuen Stellenwert erhalten.
Populäre Interpreten aus den USA und Großbritannien waren urplötzlich wieder
da, sogenannte "Geheimtips" erhielten eine Plattform,
vergessen geglaubte Vinyl-Raritäten tauchten wieder auf, Unbekannte fanden ein
Forum.
Uwe Tessnow schloss Verträge, erwarb Rechte, "das kleine Label mit dem
Millimeterpapier" hatte Pionierarbeit geleistet – und Fans wie Sammler
jubelten gleichermaßen.
Immer öfter kam es zu Rundumauswertungen von Katalogen:
Platten von Kult-Labels wie BOMP und Star-Club erschienen auf LINE;
Produkte von erfolgreichen Independant-Frischlingen wie Stiff, Albion, Beserkley
und vielen anderen übernahm Uwe Tessnow für den hiesigen Markt.
Musikalisch war längst (fast) alles erlaubt: Rock und Rock'n'Roll; R&B und
Soul; Blues und Pubrock; Garagenrock der 60s, Punk, New Wave &Co., kurz:
Altheiten und Neuheiten – LINE war angekommen.
Darüberhinaus setzte das Label - manchmal nicht ohne Augenzwinkern - weitere Maßstäbe: farbiges Vinyl, Doppelalben mit nur drei Seiten in Einzel-LP-Hüllen, 10-Inch-Promos, MusicCassetten – auch hier legte LINE vor, wurde gern kopiert, aber nur selten erreicht.
Weite Teile des Labelkatalogs wurden ab Mitte der 80er Jahre zeitgemäß auf
das neue Compact-Disc-Format umgehoben.
Und damit schlug auch die Stunde für Compilation-Reihen, die LINE inhaltlich
einmal mehr den Vorreiterstatus verschafften: Rock File, Pop File und die
Backline-Serie – mit Aufarbeitungen der US-Popgeschichte von den 40er bis zu
den Mittfünfziger Jahren – sind inzwischen Legende, fanden ebenfalls zahllose
Nachahmer und bereichern noch immer den Katalog des Labels.
Uwe Tessnow, inzwischen ein Vermarkter von klassischer Musik (Schwerpunkt:
seltene Opernaufnahmen), hat seinen Pop-Job als Top-Job erledigt:
Ohne seine mutigen Wiederbelebungen vor über 25 Jahren wäre "die
Szene" schon damals ärmer geblieben.
Rock- und Pop-Reissues besorgen inzwischen andere.
Die alles entscheidene Vorlage aber gab LINE.